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Es ist nach 22:00 Uhr und im leicht gedimmten Licht lassen sich durch das große Fenster des alten Eckhauses von Weitem bereits Silhouetten gestikulierender Personen am Tresen erkennen.
Beim Eintreten kommt ein freundliches „Guten Abend“ aus allen Richtungen. Nach kurzer Musterung wird gelacht, das gestrige Fußballspiel besprochen und nach abwesenden Gästen gefragt.
Seit über 20 Jahren
Der hinterste Tisch ist besetzt mit einer Gruppe von Herren, die auf Nachfrage schon seit über 20 Jahren herkommen. Immer am Donnerstag, immer um 19 Uhr. Die Getränke seien bis heute die gleichen geblieben und stünden bereits am Platz, bevor die ersten der bekannten Gesichter pünktlich einträfen. Die Frau hinter dem Tresen erzählt mit einem Lächeln im Gesicht, dass sie ihre Jungs hier alle kenne, über die Jahre hinweg mitbekommen habe, wenn einmal einer dazu stieß und auch stets informiert war, falls einer von ihnen eine Weile weg blieb. Urlaube, Krankheiten, Umzüge und auch Todesfälle habe sie über die Jahre miterlebt. Am meisten erfreut sie die Tatsache, dass oft sogar die Kinder irgendwann zum Darten oder Kickern mit ihren Freunden kämen.
Zwei Tische weiter könnten die Söhne der Gruppe sitzen, tatsächlich handelt es sich aber um eine Gruppe Studenten, die erst vor einem halben Jahr in die Stadt gezogen sind. Für sie ist es ein spezieller Ort. Ihnen wäre in nächster Nähe keiner bekannt, an dem sie in solch entspannter Atmosphäre zusammen kommen oder ab und an automatenspiele spielen könnten.
Zusammentreffen unterschiedlichster Lebenswelten
Es kommen Menschen miteinander ins Gespräch, die sich sonst eher selten antreffen oder vielleicht niemals begegnen würden. Ein Jungregisseur neben einem pensionierten Mediziner neben einem selbstständigen Dachdecker. Sie unterhalten sich über Musik und über Konzerte, die zum Teil länger zurück liegen als der Jüngste von Ihnen auf der Welt ist. Sie finden Gemeinsamkeiten trotz all ihrer unterschiedlichen Lebenswelten. Natürlich gäbe es auch gelegentlich Streit, gesteht die Frau am Zapfhahn. Es würde aber viel häufiger am Ende zur Versöhnung kommen, als dass hier jemand das Lokal verlassen müsste.
Vom Aussterben bedroht
Waren Gaststätten wie diese früher noch die Kommunikationszentren im Ort oder wie in Berlin im Kiez, die sich regem Zulauf erfreuten, so sind sie heute eine aussterbende Art. Während in den Städten die Bedrohung mitunter durch Verkäufe der Häuser und Mieterhöhungen am stärksten ist, so leidet der Wirt auf dem Dorf vorwiegend am Bevölkerungsrückgang und den dadurch ausbleibenden Stammkunden. Auch die veränderte Mobilität und der immer stärkere Austausch über die neuen Medien spielen eine Rolle. Nicht selten mangelt es aber auch an Nachfolgern, weil die Übernahme für die Kinder immer unattraktiver wird. Der Umzug in die Stadt und ein sicherer Job wird der familiären Tradition vorgezogen.
Hatte das Fernsehen einst und später das Rauchverbot schon spürbare Krisen für den Besuch von Kneipen ausgelöst, so ist es heute auf sozialer Ebene eher das veränderte Freizeitverhalten.
Es entstehen unter anderem Konkurrenzen zwischen:
- dem persönlichen Gespräch und dem Chatten,
- den Stammtischen und den im Social Media organisierten Events,
- dem Kegeln und immer vielfältigeren Freizeitsaktivitätsangeboten.
Zu Ende geschrieben scheint die Geschichte der deutschen Kneipen dennoch nicht, denn auch wenn die sozialen Medien eine Bedrohung für diese darstellen, so sind sie zeitgleich gerade im städtischen Bereich ebenso ein Ort für reichweitenstarke Aufrufe zur Rettung bedrohter Orte und ihrer Geschichte.
Bildquelle: Heike Zabel - Pixelio.de