Ist Erziehung sinnlos?

Burgrain (humannews) – Was macht uns Menschen so besonders? Sind unsere Eigenschaften vererbt oder erlernt? Wie werden wir, was wir sind? Welche Rolle spielen unsere Eltern wirklich und wie weit beeinflusst uns das genetische Material? Fragen, denen der Zellbiologe Dr. Bruce Lipton auf den Grund gegangen ist. Dr. Bruce Lipton im Interview mit Josef Neumayer, Koha Verlag: Dr. Bruce Lipton, es ist uns eine Ehre mit dem Mann sprechen zu können, der überall auf dem Planeten die Menschen zumindest zum Nachdenken bringt und bei vielen, dank revolutionärer Denkansätze, gar eine tiefgreifende Bewusstseinsveränderung in Gang setzen konnte.
Ja ich freue mich auch, eine weitere Gelegenheit zu haben, meine Ideen und Vorstellungen zu diesem Thema mit Ihnen und Ihren Lesern zu teilen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie einige neue Ansätze darin finden werden, denn in der Biologie entsteht zurzeit ein völlig neues Weltbild – insbesondere ein anderes Verständnis, das mit Erziehung und Elternschaft zu tun.
Wie sind Sie auf das Thema Erziehung gekommen, das ja nicht so nah dran ist an der Wissenschaft der Zellbiologie?
Das ist eine berechtigte Frage. Eigentlich hatte ich mit bewusster Erziehung tatsächlich nicht viel am Hut, bis ich 1998 in einem New Yorker Magazin einen Artikel mit dem Titel „Kommt es auf die Eltern an?“ in die Hände bekam. Der Artikel bezog sich auf das Buch von Judith Harris, „Ist Erziehung sinnlos?“. Judith zog zwei Kinder auf, ein eigenes und ein adoptiertes. Ihr eigenes Kind wurde anscheinend zu einem wundervollen Menschen, wie sie es beschreibt, und das adoptierte wurde straffällig und machte nur Schwierigkeiten. Sie gab zunächst sich selbst die Schuld, machte sich Vorwürfe, dass sie eine schlechte Mutter sei usw.
Irgendwann begann sie psychologische Bücher und Artikel zu lesen. Sie hat nicht studiert, aber sie schrieb Fachbücher und sammelte eine Menge Material. Das lieferte ihr ein psychologisches Verständnis, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Sie kam zu der Erkenntnis, dass Eltern viel unwichtiger sind als man denkt, und dass das soziale Umfeld und die Freunde viel mehr Einfluss haben. Sie fand eine rationale Begründung dafür, wie es sein kann, dass die gleiche Erziehung zwei völlig unterschiedliche Kinder hervorbringt. Nun, das Problem dabei war, dass sie jetzt öffentlich verkündete, dass elterliche Erziehung völlig unwichtig sei, dass jeder einfach Kinder bekommen könne, und wenn er sie nur zu der richtigen Tagesmutter, in den richtigen Kindergarten und in die richtige Schule schickt, wird schon alles gut werden. Ich las das und dachte „Bohhey!“ – das kann es doch nicht sein!
Sie zweifelten daran?
Als Entwicklungsbiologe ist es natürlich befremdlich, so etwas zu hören oder zu lesen. Also ließ ich mich auf das Elternthema ein und begann, mich bewusst mit der Rolle der Eltern in der Beziehung zu beschäftigen.
Was haben Sie entdeckt?
Mir wurde klar, dass die Eltern hinsichtlich der Erziehung keinen Grund zu Schuld- oder Schamgefühlen haben müssen, da sie als Gruppe, als Gesellschaft, als Nation, nie wirklich erfahren haben, wie man Kinder sinnvoll erzieht. Und man kann sich nicht für etwas schuldig fühlen, was man nicht kann, weil man es nie gelernt hat!
Wieso haben wir es nicht gelernt?
Wir sehen doch, wie es unsere Eltern gemacht haben, und so machen wir es, wenn wir Eltern sind auch. Nur besser; so glauben wir es zumindest. Da gibt es eine ganze Menge dazu zu sagen – und das tu ich natürlich auch. Wenn ich auch in diesem Gespräch nicht auf die Details eingehen kann, darf ich in aller Bescheidenheit auf mein Buch verweisen, „Intelligente Zellen“ oder auf einen Mitschnitt eines Vortrags zu diesem Thema. Wenn Sie diesem Vortrag gesehen haben, ist es natürlich ganz anderes, dann wissen Sie wirklich, wie man seine Kinder erziehen sollte – nein, jetzt mal im Ernst. Was ich sagen will: Es geht nicht darum, eine Liste von Punkten abzuarbeiten, nach dem Motto das ist gut, das wird gemacht; das ist schlecht, das lassen wir. Nein, Kinder erziehen, ist eine Lebensart. Was würde es denn bedeuten, wenn wir als Eltern diese Aufgabe bewusst angehen würden.

Ja was?

Die Psychologie bemüht sich darum zu verstehen, wie das Nervensystem und unser Verhalten funktionieren, und das beruht auf den Erkenntnissen der Biologie. In den letzten paar Jahren hat die Biologie einen enormen Bewusstseinswandel durchgemacht. Und Tatsache ist: Die Psychologie hat den nicht mitgemacht. Sie hinkt hinterher und ich hoffe, dass ich mit den neuesten Erkenntnissen aus der Biologie dazu beitragen kann, dass wir unsere alten Vorstellungen von der „alten“ Psychologie hinter uns lassen können.
Wir sind in einer Generation aufgewachsen, die sich besonders unverantwortlich fühlt. Wir sind der Meinung, die Probleme dieser Welt sind nicht meine. Genauso denken wir auch über die Gesundheit oder die Krankheit. Wenn etwas nicht mit mir stimmt, dann ist das wohl ein körperliches Problem, das aber nichts mit mir und meiner Lebenseinstellung zu tun hat. Und wenn etwas mit unserem Verhalten nicht stimmt, dann werden wohl die Gene einen Defekt haben. Wir finden immer einen Grund für unsere Probleme, aber wir sind nie die Ursache. Die Ursache ist immer da draußen.
Spirituelle Lehrer sehen das sehr ähnlich. Sie verweisen auf die Einheit von Körper, Geist und Seele und behaupten, dass Gesundheit auf allen drei Ebenen stattfindet.
Ja genau, und die neuesten Erkenntnisse aus der Biologie sagen genau das gleiche. Sie belegen, dass wir in höchstem Maße für unser Leben selbst verantwortlich sind. Aber solange wir das nicht wissen, tappen wir im Dunklen.
Was können wir tun, damit die Zusammenhänge für jeden von uns offensichtlich werden?
Die Erklärung dafür würde den Rahmen dieses Interviews bei weitem sprengen. Aber glücklicherweise gibt es dazu ja schon ein Buch, in dem das Grundwissen beschrieben ist, und eine DVD eines zweistündigen Vortrags von mir genau zu diesen Themen. Dort gebe ich einen grundlegenden Einblick in die neue Biologie und warum sie so wichtig ist. Wenn Sie verstanden haben, wie Zellen tatsächlich funktionieren, werden Sie erkennen: Meine Güte, all unsere Überzeugungen, dass wir von unseren Genen bestimmt werden, sind völlig falsch. Es gibt ein neues Verständnis. Und das wundervolle daran ist, dass es uns stark macht.
Bruce H. Lipton
Wie wir werden, was wir sind
Eltern sind wichtiger als Gene – wie unser Bewusstsein das Wesen unserer Kinder bestimmt
19,95 € (D) / 20,20 € (A) / 36,50 sFr (CH)
DVD, 120 Minuten
ISBN 978-3-86728-104-1
Koha-Verlag, Juni 2009
Zum Inhalt
Die „Programmierungen“ durch unsere Eltern haben fundamentale Bedeutung für unsere Gesundheit, unser Verhalten, unsere Einstellungen und unsere Beziehungen. In einem bildreichen, leicht verständlichen Vortrag erläutert der Zellbiologe und Pionier der prä- und perinatalen Entwicklung Dr. Bruce Lipton aus Sicht der neuen Wissenschaft den Mechanismus, durch den sich die Überzeugungen und Emotionen der Eltern auf die Entwicklung des genetischen Codes der Kinder auswirken. Unsere prä- und perinatalen Erfahrungen bilden eine Art biologische Vorgabe, die alle späteren Gefühle und Einstellungen im Hinblick auf uns selbst, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und unsere Verbindung zu Himmel und Erde bestimmt. Das Wissen um die Mechanismen kann uns davor bewahren, weiteren Schaden anzurichten; es hilft uns, jene Bereiche unseres Denkens und unseres Fühlens zu heilen, in denen wir selbst durch unsere Programmierungen eingeschränkt sind.

Über Dr. Bruce H. Lipton

Dr. Bruce Lipton lehrte an der medizinischen Fakultät der Universität von Wisconsin und arbeitete als Forscher an der medizinischen Fakultät der Stanford Universität. Schon 1982 begann er, die Prinzipien der Quantenphysik auf seine Zellforschungen anzuwenden. Seine Erkenntnisse über die Zellmembran machten ihn zum Pionier der neuen Wissenschaft und Epigenetik. Liptons Forschungen sind in seinem Buch „Intelligente Zellen“ zusammengefasst, das in englischer Sprache unter dem Titel „The Biology of Belief“ erschienen ist.





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